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0313 Kunstgeschichte der Seidenweberei : vol.2
Kunstgeschichte der Seidenweberei : vol.2 / Page 313 (Color Image)

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doi: 10.20676/00000240
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großem Maßstab ausgeführt, sodaß ein Rapport, wie es an den Tafeln 295 bis 298 zu sehen ist, die ganze Bahnbreite von Kante zu Kante ausfüllt.')

Die Textur und die Farben der Spätbarockstoffe werden nicht weniger als die Zeich, nung von der Stilwandlung um 1700 berührt. Die Samtweberei tritt zurück, weil die dichten, mit kleinen und kleinsten Ziermotiven überladenen Muster nur sehr schwer im Samtflor wiederzugeben sind. Dafür wird die Bindung der glatten Brokate immer künstlicher und verwickelter. Obwohl die Hauptmuster an sich schon reich genug sind, wird auch der Grund oft mit einem besonderen Damastmuster versehen oder durch allerlei Bindungseffekte be, lebt. Mit den Samtstoffen werden die tiefen und vollen Farben seltener; der französische Geschmack bevorzugt im Gegensatz zu Italien vielfarbige Stoffe von lichter, lebhafter Ge, samtwirkung, wobei sehr laute Töne wie ziegelrot, schwefelgelb, grasgrün nicht vermieden werden. Mit dem Zug zum Hellen hängt es zusammen, daß in den französischen Brokaten viel mehr Weißsilber als Gold verwebt wird. Tritt das Metall — weißer oder vergoldeter Silberlahn um einen Seidenkern gesponnen — reichlich auf, so setzt man neben die blanken Flächen aus glattliegenden Metallfäden kraus und körnig aussehende Partien aus wellig gedrehtem Lahn, ein Verfahren, das im Kroninventar seiner Wirkung gemäß or ciselé ge, nannt wird.

Die Bezeichnung Spätbarock für den ersten selbständig französischen Seidenstil ist ein Notbehelf, denn seine Geltungsdauer überschreitet die Barockzeit beträchtlich. Trachten: bilder lehren, daß er von 1700 an etwa vier Jahrzehnte blühte, also die Spätzeit Ludwigs XIV, die Régence (1715-1723) und die frühe Louis XV,Periode umfaßte.')

Der Naturalismus im Rokoko und Louis XVI.

Zu den eigentlichen Rokokostoffen aus der Mitte des 18. Jahrhunderts führen vom spätbarocken Seidenstil viele Übergangsformen hinüber, die bei symmetrischer Ordnung das dichtgefügte und gedrängte Ornament auflockern und die plastisch,schattierende Pflanzen; darstellung ankündigen (Abb. 590). Auch bleibt mit den Spitzenbändern ein charakteristi, sches Barockmotiv der Folgezeit erhalten. Trotzdem ist der ausgereifte Rokokoseidenstil, wie er um 1750 auftritt, von seinem unmittelbaren Vorgänger grundverschieden.

Zunächst verlieren sich — mit Ausnahme der Bänder — die unvegetabilen Bildungen, wie die Vasen, Fächer (vgl. T. 296 u. 297), die Voluten der unsymmetrischen Muster (vgl. T. 299a), dann die phantastisch stilisierten, mit Ziernetzen gefüllten oder mit kleinen Binnen: zeichnungen belegten Früchte, Blüten und Sträuße. Davon entlastet, breiten die Rokoko: muster sich freier bewegt und offener über die Fläche, sodaß Grund und Zeichnung wieder geklärt voneinander sich abheben. Daß eine Zeit, die J. A. Meissonnier zu ihren einfluß, reichsten Meistern zählte, die Symmetrie auch aus der Seidenweberei fast ganz verbannte, ist nicht verwunderlich. Einseitige Muster aus schräg oder senkrecht in Wellen aufsteigen; den Bändern, Ranken und Blumensträußen werden nun für einige Jahrzehnte der vorherr, schende Typus. Anfänglich bewegen sich die Bänder wirbelnd und flatternd in eigenwilligen Schwingungen (T. 299b, Abb. 591 = T. 300), dann, als der Überschwang des Rokoko er, mattet, strecken sie sich zu ruhigeren Kurven (T. 301), die mählich in die Gradlinigkeit der Louis XVI, Muster hinüberleiten.3) Die Bänder, zuweilen durch Nachbildungen von Pelz,

j) Eine große Auswahl solcher Muster ist abgeb. bei Kumsch, Stoffmuster des 16.-18. Jahrh.; symme. trisch T. 15-19, 65-72, 116-123, 169-173; unsymmetrisch T. 22-25, 73-75, 124-127, 176-178.

  1. Beispiele ein Bild der Herzogin von Burgund von J. B. Santerre vom Jahre 1709, abgeb. bei Nolhac, Les femmes de Versailles; das Bildnis der Herzogin Elisabeth Charlotte von Orleans in der Braunschweiger Galerie von Hyacinthe Rigaud, abgeb. Klassischer Bilderschatz nr. 888; ein Bild des Grafen Maurepas von L. M. Vanloo 1736, mit besonders deutlicher Wiedergabe des Musters, abgeb. Dreger, Entwicklung T. 300; ferner in der Waffensammlung zu Moskau der Oberrock und Justaucorps des Zaren Peter II (1727-1730) aus ähnlichem Stoff wie Tafel 298, abgeb. „Les trésors d'Art en Russie" 1902, 120.

  2. Bändermuster bei Kumsch, T. 44-48, 96-98, 147-149, 198.

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