National Institute of Informatics - Digital Silk Road Project
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Eine Routenaufnahme durch Ostpersien : vol.2 |
I. DIE FELDAUFNAHME. - DIE FELDKARTE. 12 7
pressen müßte. Er hat Angst vor Fremden und fürchtet, daß man ihm nachrechnet, wenn er zuviel gesagt hat. Natürlich tut man alles, um ihn zu beruhigen. Er erhält Tee und Brot und ein paar Zigaretten. Es lohnt sich jedoch nicht, ihn mit Grammophon oder Spieldose zu unterhalten, denn darin argwöhnt er das Spiel böser Geister. Man muß ihn ernstlich ermahnen, bei der Wahrheit zu bleiben und keine Märchen aufzutischen.
Die Nacht kann herankommen, ehe ein solches Gespräch zu Ende ist. Ich mache
meine Notizen ganz kurz mit Bleistift, um sie später im einzelnen auszuarbeiten und
die Antworten zu einem Ganzen zusammenzufügen. So wird das Skelett zu einer kleinen Monographie geschaffen, deren Mittelpunkt der Nomade selbst ist, während
die Kreise, die sich um ihn legen, immer größer und unbestimmter werden. Sein Horizont ist äußerst eng begrenzt; was außerhalb seiner jährlichen Wanderungen liegt, ist für ihn ein Chaos. Der Unterschied zwischen dem Jäger und Nomaden ist
der, daß der erstere die lohnendsten Jagdgebiete aufsucht, der letztere die von altersher benutzten, für die Schafe geeignetsten Weideplätze.
Es kann ein paar, vielleicht viele Tage dauern, bis man das nächste Zeltlager trifft, wo die Auskünfte des ersten Jägers kontrolliert werden und wo das gewöhnliche Frageformular wieder zu Ehren kommt. Ein neuer Fleck der tibetischen Erde wird wie in einem Netz eingefangen, und neue Namen können auf den Blättern der Feldkarte eingetragen werden. Die Seen bleiben nicht länger anonym, die Lagerplätze, die vorher nur Nummern in römischen Ziffern gehabt haben, bekommen ebenfalls Namen. Man hat das Gefühl größerer Sicherheit und besserer Orientierung, wenn man die Anzahl der Namen auf der Feldkarte zunehmen sieht. Es kommt gleichsam mehr Leben in die Landschaft, wenn sie in eine Szene für Menschen, nicht nur für Tiere verwandelt wird.
Das Interesse und die Spannung steigen, wenn man von den endlosen Wüstenweiten, in größerer Höhe als der Gipfel des Montblanc, sich immer tiefer in das Land der Nomaden hineinbohrt. Jeder Abend ist mit Gesprächen ausgefüllt, die mehrere Stunden dauern und die Tag für Tag den Horizont erweitern. Das Ganze wird zu einem Geduldspiel, dessen Stücke man zusammenzupassen sucht. Ich pflege immer Führer mitzunehmen, die gegen andere ausgetauscht werden, sobald die Grenze ihres Wissens erreicht ist. Der Führer begleitet mich zu Pferd, so daß ich ihn beständig ausfragen und allen Namen auf der Karte ihren richtigen Platz geben kann. Er hat nichts dagegen, denn er wird bezahlt. Er sieht bald ein, daß es keinen Zweck hat zu lügen, denn wenn wir andere Nomaden treffen, können sie seine Angaben kontrollieren.
Auf diese Weise wächst die Karte allmählich in Wort und Bild und in Zahlen.
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