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0259 Meine Tibetreise : vol.1
私のチベット旅行 : vol.1
Meine Tibetreise : vol.1 / 259 ページ(カラー画像)

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doi: 10.20676/00000264
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16. Januar. Um 1 Uhr nachts betraten wir den Ostrand des Sees und zogen dann den dortigen Dünen entlang immer weiter nach Süden. Es sind ungeheure Sandanhäufungen, die mehrere hundert Meter hoch aus dem Niveau des Sees aufsteigen. Hinter diesen zieht sich in einigen Kilometern vom Ufer steil und hoch ein lückenlos geschlossener Bergwall hin. Gras und Weideplätze gibt es am Ostufer nur ausnahmsweise. Menschen wohnen keine dort. In dem hellen Mondlicht des tibetischen Hochlandes glaubte man bis in die weiteste Ferne jedes feinste Detail erkennen zu können; aber nur fahl, farblos, scheinbar zitternd und mosaikartig erschien jeder Gegenstand; wir mußten acht geben, daß wir uns nicht verloren.

Einmal in der Nacht standen wir ganz plötzlich und unvermutet vor einem Zelt. Am Seeufer, in einer Mulde zwischen zwei Dünen, hatte sich jemand um einen langen Spieß, der senkrecht im Boden steckte, ein kleines schirmartiges Schutzdach errichtet. „Das sind Räuber !" schrie der Regierungsvertreter, der Hsië dia, der etwas voraus war, und wollte gleich auf wenige Schritte und ohne weiter zu fragen in das Zelt hineinschießen. Bis ich dazukam, waren die Insassen des Zeltes wach geworden. Sie wagten aber nicht herauszukommen. „Wir sind Pilger, die zur heiligen Insel im See wallfahrten, laßt uns am Leben !" rief es ganz ängstlich und jämmerlich auf Tibetisch aus dem Zeltinnern. „Om mani padme hung! Om mani padme hung!" begann einer zu beten. Daneben vernahmen wir aber noch das Anschlagen eines Feuerstahls. „Obacht ! schießt, ehe es zu spät ist!" rief wieder der Hsië dia. „Sie entzünden ihre Gewehrlunten." Es kostete große Mühe, die hitzigen, nervös gewordenen Leute ohne Blutvergießen zum Weitergehen zu bewegen. Ich glaube allerdings selbst, daß die in dem Zelte Leute waren, die nicht mit den besten Absichten herumreisten, denn Pilger sind gewöhnlich nicht bewaffnet, außerdem führt dort kein Weg am See entlang.

Bis der Morgen graute, war es windstill geworden. Kein fremder Laut war weit und breit zu hören. Nur das bißchen Schnee, das den Boden bedeckte, knirschte unter jedem unserer Tritte. In der Frühe hatte es — 35 °, es war also gegen den Abend zuvor nur noch um wenige Grade kälter geworden. Wir waren während der ganzen Nacht in Bewegung gewesen; kurz nach 7 Uhr hatten wir am Abend das Unglückslager verlassen und waren ohne Aufenthalt und so rasch wie möglich weiter marschiert. Um 6 Uhr morgens, also nach 11 Stunden, hatten wir bereits das südöstliche Ufer des Sees erreicht. Wir waren nun alle sehr ermüdet. Da der Hsië dia, ohne etwas zu sagen, zurückgeblieben war, so machten wir eine längere Rast, um auf ihn zu warten, und da wir seit 24 Stunden nichts Warmes gehabt hatten, so beschlossen wir, abzukochen.

Es war ein wunderbarer Platz, wo wir uns befanden. Ganz sanft, in flachen und wenig ausgesprochenen Terrassen fiel vor uns das Ufer gegen den See ab. Lagunen, haffartige Bildungen nahmen die Seeecke ein und weit, weit nach Westen zog sich dahinter die Eisfläche, die auch hier in zahllose Schollen zerrissen und später wieder zusammengepreßt war, wie wenn die Winterkälte den See gerade in seiner wildesten Erregung zum Erstarren gebracht hätte. Scheinbar nahe dem Südufer sah man von unserem Kochplatz aus noch deutlich die heilige Felsinsel im See. Es war das erste Mal, daß ich sie erblickte, in einem Tagesmarsche schien sie erreichbar zu sein, so klar und hell war die Fernsicht. Trotzdem das ganze Südufer wie auch unsere nächste Umgebung von dichten Grasweiden bedeckt war, sah man doch nirgends Menschen, nirgends einen

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