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0340 Meine Tibetreise : vol.1
私のチベット旅行 : vol.1
Meine Tibetreise : vol.1 / 340 ページ(カラー画像)

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doi: 10.20676/00000264
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1I

schmalen Pfaden, nur im Gänsemarsch gelangen kann, hatten seine Leute ihr

Stammland. Von dort aus hielten sie einen weiten Umkreis in eitel Schrecken.

Niemand konnte mehr friedlich über Land reisen. Die größten Karawanen

wurden ausgeraubt. Die Stadt war nahe daran, von ihren Bewohnern auf-

gegeben zu werden. Der Handel, der ganze Wert der Stadt, war vernichtet.

Dicht vor den Toren wurden den Chinesen vom Pfluge weg die Ochsen und Esel

fortgetrieben. Wer Miene machte, Widerstand zu leisten, wurde erschossen.

Da hatte endlich 1905 ein junger, neu eingetroffener Ting den Mut, die Interessen

seiner Untergebenen zu verteidigen. Er erlangte auf seine Berichte von der

Zentralregierung die Vollmacht, die Inkarnation zur Verantwortung zu ziehen.

Er lud den hohen Lama in sein Haus. Und als jener schon ein paar Tage vorher

sein Erscheinen angesagt hatte, da galoppierte eine Estafette nach der anderen

nach Hsi hing mit der Bitte um weitere Vollmachten. Der Ting bat, den Lama

festnehmen zu dürfen. Er bat um Truppen. Aber tagelang blieb die Antwort aus.

Dem Amban fehlte der Mut, die Verantwortung zu übernehmen. Er neigte

eher noch auf die Seite der Tibeter. Der Ting sandte nach Lan tschou fu, er

telegraphierte von dort aus nach Peking um genaueste Instruktionen. Auf

dem erbärmlichen Pfad nach Lan tschou braucht aber ein Reiter, auch wenn

er zehnmal frische Pferde nehmen kann, immerhin zwei Tage. Da konnte der

Ting also lange warten. Mittlerweile war alles vorbereitet. Insgeheim waren

seine Leute bewaffnet, die Tore besetzt. Es wäre aber wohl trotzdem nicht

zum Losschlagen gekommen, hätte nicht der Bruder des Lama, der im Ya men-

Hofe wartete, Verdacht geschöpft, wäre es diesem nicht gelungen, in den Gäste-

raum zu gelangen und seinem Bruder zuzurufen, er sei in eine Falle gelockt

worden, er solle fliehen. Blitzschnell hatte die Inkarnation die Situation er-

faßt. Mit dem großen Silberstück, das er noch in Händen hielt, schlug er den

Ting nieder und suchte seinem Bruder nach den Eingang zu gewinnen. Nun

ist es in China allgemein Sitte, daß bei Besuchen die Ya men-Aufwärter an der

Türe stehen. Diese, zehn Mann hoch, verlegten dem Heiligen den Weg und

suchten ihn zu knebeln. Es war ein Riesenmann, prächtig, muskulös, götter-

gleich gewachsen — so sagten mir alle meine Gewährsmänner. Nur mit dem

Silberstück bewaffnet, warf er die von Opium und Nichtstun kraftlosen Knechte

auf die Seite, und sicherlich wäre er auch entkommen, hätte nicht der Ting

einen kleinen Revolver in seinen Kleidern verborgen gehabt und damit, außer

sich über die erlittene Schmach, auf den heiligen Lama geschossen. Am gleichen

Abend noch starb die Inkarnation im Hofe des Ya men an der Verwundung.

In der allgemeinen Verwirrung war es dem Bruder gelungen, aus der Stadt

hinauszukommen und seinem Stamm Kunde von den Vorgängen im Ya men

zu bringen. Wie ein Bienenvolk, dem man die Königin nimmt, so wütend

fuhren die Leute auf, hatte man ihnen doch ihr Höchstes, ihre Heiligen-

inkarnation, ihren Gott getötet. An einen Sturm auf die Stadt konnten sie

freilich nicht denken. Eine chinesische Lehmburg zu nehmen, war noch immer

eine mißliche Sache für einen Reiterstamm. So zogen sie sich nach einigen

wilden Demonstrationen in ihre Berge zurück, um dort erst recht den Krieg

vorzubereiten, Pulver zu reiben, Kugeln zu gießen. Weithin waren die Büchsen-

macher dieses Stammes berühmt. Selbst an Imitationen unserer modernen

Gewehre hatten sich einzelne Meister gewagt. Ein Glück war es für die Chi-

nesen, daß jene nur ganz wenig Stahl einhandeln konnten.

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