National Institute of Informatics - Digital Silk Road Project
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Meine Tibetreise : vol.2 |
DaB Keime nicht zum Blühen kommen — ach, das
kommt vor DaB Blüten nicht zu Früchten werden — ach, das
kommt vor !
Spruch des Confucius (551-478 v. Chr.).
XII.
Überfall und Rückzug.
Den 12. September im Lager 88. — — Es ist vorbei all mein Hoffen, alle
die Träume sind zerronnen ! Alle Vorsicht, alle Mühe, alles war umsonst. Ich
bin beraubt. Ich stehe fast hilflos auf der öden Tschang tang. — — Dutzende
Male stellte ich heute meine unterwegs gezeichneten Kartenblätter zusammen,
beriet meine englischen, russischen, Hedinschen Karten, um genauer festzu-
stellen, wo wir sind, wie weit ab von Ts`aidam.
Gestern bin ich weich gegen mich gewesen und ließ am Morgen den Befehl
zum Rasten geben, denn die Wade, in die drei Zähne des Bären eingedrungen
waren, schmerzte, und mit dem Auf- und Absteigen vom Pferde wollte es schlecht
gehen. Ich lag nach einer unruhigen Nacht am Morgen lesend auf meinen
Pelzen. Plötzlich stürzten die Leute mit dem Schreckensruf ins Zelt : „Tschaba!
Tschaba!" 1) (Räuber ! Räuber !) .
Sofort springe ich auf und renne in meinen Pyjamas mit Mauserpistole und
Karabiner, den Patronengürtel um den Hals, den Räubern entgegen. — Zu
spät schon! — Die Entscheidung war bereits gefallen. Ich sah meine Tiere
weithin zerstreut ganz am Fuße der Berge. Ich sah von links und rechts, aus
allen Schluchten, hinter allen Felsgraten hervor Schwärme von Tibetern auf
kleinen zähen Pferdchen mit gellendem Geschrei dahergaloppieren und meine
Tiere einkreisen. Meisterhaft hatten sie ihren Plan ausgeheckt und ausgeführt,
daß keiner auch nur einen Augenblick zu früh den scharfen Augen meiner Leute
auffiel. Die Räuberbande hatte sorgsam einen Moment abgepaßt, in dem die
Herdenwache, um ein Halfter zu holen, in das Lager zurückgegangen war, und
sich, meinem oft wiederholten Befehl zum Trotz, gerade wieder kein einziger
Mann bei den Tieren befand.
Wir rannten, was wir konnten, auf die Herde zu, aber die Entfernung war
zu groß, und wie läuft man in Montblanchöhe ! Aus dem Sattel schossen die
Reiter ihre Gabelflinten auf uns ab. Mit affenartiger Geschwindigkeit lösten
sie die ledernen Koppeln meiner Pferde und Maultiere und trieben alles in die
Berge hinein, auf deren Gipfel es jetzt mit einem Schlage von Feinden wimmelte.
Es gelang uns nur noch, sechs Yak den Räubern abzutreiben. Wegen eines
Pferdes stürzten noch einmal zwanzig Räuber aus einer Seitenschlucht heraus.
Auch meine Leute hatte die Verzweiflung mutig gemacht. Sie wollten sich
auf einen verwundeten, aus dem Sattel gestürzten Tibeter werfen; die Behendig-
keit jedoch, mit der seine Freunde diesen auf dem Pferde festbanden, rettete
ihn vor der Wut meiner Chinesen.
Noch hofften wir in einem Augenblick, die Schafe zu halten, allein von
Westen her jagt ein neuer Haufe und greift die dummen Tiere, die den Yak
1) Orthographisch geschrieben: dschag ba.
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