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Meine Tibetreise : vol.2 |
nach Sung pan sei voller Tücken, doch könne man hier vielleicht ungesehen
und ungeschoren durchschlüpfen. So beschloß ich denn, nach Merge zu ziehen
und dort nach Begleitung für den weiteren Weg Umschau zu halten.
Spät am Abend des 19. Juli war Brdyal aus dem Zelt des Pan da lama
mit der Kunde zurückgekommen, ich würde bestimmt einen Führer nach Merge
erhalten. Vor meinem Aufbruch am Morgen sandte ich ihn noch einmal hinauf,
um nach dem Führer fragen zu lassen. Er sei schon unterwegs, erhielt er zur
Antwort, und warte hinter dem nächsten Berg, wo er eine Wolfsfalle gestellt
habe. Ich wollte natürlich nicht daran glauben. Mein guter Brdyal aber,
der sich immer für die Theorie verstritt, daß Tibeter nicht so viel lügen wie
Chinesen, bestimmte mich schließlich, aufzubrechen. Natürlich war hinter dem
Berge kein Mensch zu finden, und da wir uns alle schämten, wieder umzukehren,
so zogen wir eben allein über die tiefgründigen Talmulden und über Hügel von
knapp 100 m relativer Höhe auf einen Bergsattel zu, den man uns als nächstes
Ziel bezeichnet hatte.
In einer der Mulden standen wir plötzlich starr vor Schreck an einem großen
Lager, in dem an die 200 Personen, Männer und Weiber, ihre Morgenkost kochten.
Aus allerlei Fetzen und Lumpen hatten sie Schutzdächer errichtet, die keinen
Meter über den Erdboden reichten. Kein Haustier war zu sehen außer struppigen
Hunden, die uns zerreißen wollten. Alles sah lumpig und wüst aus. Ein Zigeuner-
lager hätte wie eine kaiserliche Hofhaltung davon abgestochen. „Das sind unsere
Medizinwurzelsucher aus Kretschiu und Ts` a ka lao. Wer mit ihnen in die Steppe
zieht, nimmt keinen Flicken zu viel mit, denn er hat keinen," scherzten meine
Ma tang-Leute. Nur zwei Flinten, sonst Spieße und Schleudern hatten die Männer
zur Verteidigung, und um den Hunger zu bekämpfen, hatten sie ein paar Säcke
Mehl, die der chinesische Händler im Tal auf Vorschuß mitgegeben. Zwei Monate
waren sie bereits in diesem Lager und suchten die umliegenden Berge nach allerlei
Heilpflanzen ab, die sie im Raubbau ausgraben. Der tägliche Verdienst soll
20-30 Taelcent und im besten Fall 70 Taelcent betragen. Das Pfund (600 g)
Be mu (tibet. : Gar lo) z. B. besteht aus 3000-4000 Knöllchen, weißen Zwiebel-
chen von Coelogyne Henryi, die einzeln gefunden und ausgegraben werden
müssen. Es hat in Ma tang und Li fan einen Preis bis zu 2 Tael. Die Knöllchen
bilden einen Leckerbissen der chinesischen Küche.
Von einer Anhöhe am Wege eröffnete sich mir eine prächtige Übersicht. Fern
vom Süden und Südwesten grüßten zum Abschied die großen schwarzen Somo-
Berge mit ihren zahlreichen Gipfeln, die, aus grünem Tonschiefersandstein be-
stehend, bis über 5000 m aufsteigen. Von der Ma tanger Gegend zogen sie sich
weit in nordwestlicher Richtung hin, bis sie 80 bis 100 km von meinem Standpunkte
sich den Anschein gaben, als würden sie weiterhin mit mehr Ost-West- Streichen
nach Tibet hineinführen. Sie sind die östlichsten Enden des Ba yen ka la schau
der chinesischen Kartographie 1). Davor und unabsehbar weit nach Norden
ausgreifend breitete sich ein grünes Wirrsal von Hügeln und Kuppen, von Tal-
ebenen und kleinen Ketten aus. Kein Berg reichte dort, soweit auch an dem
1) Ba yen ka la schan, eine aus dem Mongolischen entlehnte Bezeichnung. Ba yen = bayan (mong.), reich; ka la = khara (mong.), schwarz. In chinesischen Geographiebüchern und sogar Fibeln bezeichnen diese Worte schon lange das wasserscheidende Gebirge zwischen Yang tse kiang und Hoang ho innerhalb von Tibet. Es ist deshalb ein Unfug, dafür einen neuen Namen einführen zu wollen.
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