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0253 Meine Tibetreise : vol.2
Meine Tibetreise : vol.2 / Page 253 (Color Image)

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doi: 10.20676/00000264
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aber fand ich unsere himmelblauen Augen. Ein Hauch einer ganz anderen

Welt und einer Zeit, die eigentlich noch gar nicht sein sollte, wehte mir da

ganz plötzlich entgegen. Mr. Amundsen, das rührige Mitglied der Christian

bible society, beabsichtigte eben einen großen Zug nach Dergi zu unternehmen.

Seit mehreren Jahren suchte er mit seiner ganzen Kraft in Tibets mittelalter-

liche Kultur eine Bresche zu legen. Auf einer Schar Ula-Yak führte er in volu-

minösen Kisten Tausende von Evangelienbüchern in tibetischer Sprache mit

sich, die er an die Einwohner verteilen und verkaufen wollte. Endlich erfuhr

ich auch wieder Neuigkeiten aus Europa. Aber fünf Minuten nur sprachen

wir uns. Fünf Minuten tat ich einen Blick in die andere Welt, dann drängten

unsere Begleiter weiter und stieß die Lederschüssel mit Rev. Amundsen vom

Lande ab. Wiederum sah ich nur ungewaschene, breitaasige, bronzebraune

Gesichter in phantastisch bunten Röcken, die mir vorher so selbstverständlich

vorgekommen waren, an deren Schnitt und Farbenpracht ich mich so sehr ge-

wöhnt hatte, daß ich mich erst jetzt wieder darauf als auf etwas Fremdes besann.

An der Fährstelle hat der Tschanggu tenn kwan Wu sechs eingeborene Sol-

daten, sechs weitere sind an einem kleinen Paß dahinter postiert, wo das

Räuberunwesen nicht lange vorher solche Blüten gezeitigt hatte, daß die Kauf-

leute nur noch sechzig Mann stark durchzuziehen wagten, wenn sie ihren Moschus

nach China transportierten. Im August 1904 (Kuangsü 30. Jahr, im VII. Monat,

um den 17. Tag) wurden diese Distrikte von heftigen Erdstößen heimgesucht,

die an mehreren Tagen sich wiederholten und die die tibetischen Bauwerke wie

Kartenhäuser zusammenfallen ließen. Kein Haus zwischen Tschanggu und

Dawo blieb unversehrt. Was wieder aufgebaut war, rührte von chinesischen

Handwerkern her. Anstatt der alten, aus Kies und Lehm gestampften Außen-

mauern machten sie nun Steinmauern und die Balken und Stützen wurden

handwerksgemäß ineinander verzapft, was die ortsübliche Baukunst nicht kennt.

Am schlimmsten wurde während jener Tage das Kloster und der Ort Dawo

mitgenommen. Vom Kloster war während meines Besuches wenig zu sehen.

Als die Stützen des Tempels unter den Erdstößen wankten, waren die Mönche

in ihr Heiligtum gestürzt, um durch Gebete ihre Götter und vor allem den

Gott Tamdin zu beschwören, mit der Heimsuchung aufzuhören. Vierzig Mönche

hatte infolgedessen der einstürzende Tempel totgeschlagen; als wäre es eine

Mausfalle mit einem Ziegel darüber gewesen, so schwer stürzte das Dach auf

die würdigen Geslong. Die Grenzländer Tibets scheinen besonders häufig von

Erdbeben heimgesucht zu werden. Kuang sii 18. Jahr, d. h. 1892, wurde das

Kloster ngGatag (Taining), eine gute Tagereise südostwärts von Dawo, von

Grund aus zerstört. Tschungkor gomba bei Dschoma lhagan fiel 1896 in Trüm-

mer. Auch von Li tang, Ba tang (1870) und anderen wurden mir Katastrophen

berichtet, die alle innerhalb des letzten Menschenalters eingetreten waren.

Dawo gehört wieder den Kungsar-Mazar Tu se'). Außer Tibetern wohnen

hier aber bereits einige hundertfünfzig chinesische Familien. Diese sind in

den letzten Jahren sonderbarerweise — man sagt wegen Bodenstreitigkeiten —

zu einem großen Teil katholisch und evangelisch geworden. Kaum war ich in

dem Herrenhaus, einem eben erst aus dem Erdbeben wieder auferstandenen

1) Dawo oder Dao, geschrieben sDao, im Kin tschuan-Dialekt sTagu ausgesprochen;

das Kloster wird sDao nimtsu gomba genannt.

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