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Meine Tibetreise : vol.2 |
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aber fand ich unsere himmelblauen Augen. Ein Hauch einer ganz anderen
Welt und einer Zeit, die eigentlich noch gar nicht sein sollte, wehte mir da
ganz plötzlich entgegen. Mr. Amundsen, das rührige Mitglied der Christian
bible society, beabsichtigte eben einen großen Zug nach Dergi zu unternehmen.
Seit mehreren Jahren suchte er mit seiner ganzen Kraft in Tibets mittelalter-
liche Kultur eine Bresche zu legen. Auf einer Schar Ula-Yak führte er in volu-
minösen Kisten Tausende von Evangelienbüchern in tibetischer Sprache mit
sich, die er an die Einwohner verteilen und verkaufen wollte. Endlich erfuhr
ich auch wieder Neuigkeiten aus Europa. Aber fünf Minuten nur sprachen
wir uns. Fünf Minuten tat ich einen Blick in die andere Welt, dann drängten
unsere Begleiter weiter und stieß die Lederschüssel mit Rev. Amundsen vom
Lande ab. Wiederum sah ich nur ungewaschene, breitaasige, bronzebraune
Gesichter in phantastisch bunten Röcken, die mir vorher so selbstverständlich
vorgekommen waren, an deren Schnitt und Farbenpracht ich mich so sehr ge-
wöhnt hatte, daß ich mich erst jetzt wieder darauf als auf etwas Fremdes besann.
An der Fährstelle hat der Tschanggu tenn kwan Wu sechs eingeborene Sol-
daten, sechs weitere sind an einem kleinen Paß dahinter postiert, wo das
Räuberunwesen nicht lange vorher solche Blüten gezeitigt hatte, daß die Kauf-
leute nur noch sechzig Mann stark durchzuziehen wagten, wenn sie ihren Moschus
nach China transportierten. Im August 1904 (Kuangsü 30. Jahr, im VII. Monat,
um den 17. Tag) wurden diese Distrikte von heftigen Erdstößen heimgesucht,
die an mehreren Tagen sich wiederholten und die die tibetischen Bauwerke wie
Kartenhäuser zusammenfallen ließen. Kein Haus zwischen Tschanggu und
Dawo blieb unversehrt. Was wieder aufgebaut war, rührte von chinesischen
Handwerkern her. Anstatt der alten, aus Kies und Lehm gestampften Außen-
mauern machten sie nun Steinmauern und die Balken und Stützen wurden
handwerksgemäß ineinander verzapft, was die ortsübliche Baukunst nicht kennt.
Am schlimmsten wurde während jener Tage das Kloster und der Ort Dawo
mitgenommen. Vom Kloster war während meines Besuches wenig zu sehen.
Als die Stützen des Tempels unter den Erdstößen wankten, waren die Mönche
in ihr Heiligtum gestürzt, um durch Gebete ihre Götter und vor allem den
Gott Tamdin zu beschwören, mit der Heimsuchung aufzuhören. Vierzig Mönche
hatte infolgedessen der einstürzende Tempel totgeschlagen; als wäre es eine
Mausfalle mit einem Ziegel darüber gewesen, so schwer stürzte das Dach auf
die würdigen Geslong. Die Grenzländer Tibets scheinen besonders häufig von
Erdbeben heimgesucht zu werden. Kuang sii 18. Jahr, d. h. 1892, wurde das
Kloster ngGatag (Taining), eine gute Tagereise südostwärts von Dawo, von
Grund aus zerstört. Tschungkor gomba bei Dschoma lhagan fiel 1896 in Trüm-
mer. Auch von Li tang, Ba tang (1870) und anderen wurden mir Katastrophen
berichtet, die alle innerhalb des letzten Menschenalters eingetreten waren.
Dawo gehört wieder den Kungsar-Mazar Tu se'). Außer Tibetern wohnen
hier aber bereits einige hundertfünfzig chinesische Familien. Diese sind in
den letzten Jahren sonderbarerweise — man sagt wegen Bodenstreitigkeiten —
zu einem großen Teil katholisch und evangelisch geworden. Kaum war ich in
dem Herrenhaus, einem eben erst aus dem Erdbeben wieder auferstandenen
1) Dawo oder Dao, geschrieben sDao, im Kin tschuan-Dialekt sTagu ausgesprochen;
das Kloster wird sDao nimtsu gomba genannt.
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