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0362 Meine Tibetreise : vol.2
Meine Tibetreise : vol.2 / Page 362 (Color Image)

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doi: 10.20676/00000264
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Unterhalb der Ebene Niendorba wurde das Re tschü-Tal enger. Die Talsohle blieb morastig. Sie führte uns genau nordwärts. Am 26. sahen wir während des Marsches in der Ferne einen Reiter. Mein Ba tsung, der als Spitze vorausgeritten war, kam mit dem Rufe zurückgesprengt: „Das Banner, das Banner, öffnet das Banner!" Sein Tschemo tscho, der bei mir und dem Troß geblieben war, fuhr in die Falten seines Pelzmantels, brachte nach einiger Zeit eine mehrere Quadratmeter große rote dreieckige Flagge heraus und streifte sie über seine Lanze. Mir aber rief der Ba tsung zu: „Bu pa sieng scheng, keine Angst, Früher-geborener, es wird uns nichts geschehen. Das Banner der Tschang la-Miliz flattert hoch im Wind." Beim Näherkommen entpuppten sich die feindlichen Reiter, die der Ba tsung erspäht hatte, als eine Estafette, als ein mohammedanischer Soldat vom Militärlager in Täwo kiang ts` a, der von einigen Tibetern begleitet wurde. Die neuesten Nachrichten vom „Krieg" lauteten wie die alten: die Täwo wollen nicht nachgeben und die 800 Mann aus Se tschuan wie die 2200 Mann aus Lan tschou fu befinden sich wohl und warten und verhandeln (schang leang).

Um Mittag des 28. August stießen wir auf die ersten Bewohner, 96 km von dem Grenzwall bei Hoang schen kwan. Wir hatten die Nomadengemeinde Bân yü erreicht. Auf den beiden Ufern des Re tschü, rechts und links von einer Furt, standen in dichten Gruppen 230 schwarze Zelte verteilt. Das Lager lag 3565 m hoch. Das Tal war zur nahezu 2 km breiten Ebene geworden, in die sich der Fluß 5 m tief eingegraben hatte. Mit Krüppelgehölz waren die Flußschlingen bestockt. Die umliegenden Höhen waren 400 m höhere Wiesenberge aus nahezu 0—W streichenden Sandsteinschichten.

Der Fluß und sein Tal entführte mich immer weiter nach Nordnordwesten. Alles Land, in dem ich mich befand, war noch unerforscht, denn hier waren vor mir nur die beiden unglücklichen englischen Offiziere Watts-Jones und John Grant Birch gewesen 1). Ich kämpfte einen harten Kampf mit dem Tsung ye, der mich auf dem kürzesten Weg nach Tao tschou abschieben wollte. Wozu aber war ich denn hierher gegangen? Wozu hatte ich alle die neuen Widerwärtigkeiten auf mich geladen? Nach allen Anzeichen mußte der Hoang ho nur wenig westlich von meiner Route zu finden sein. Aber jedes Mal, wenn ich eine mehr westliche Richtung vorgeschlagen hatte, sollten endlose und undurchdringliche Sümpfe im Wege liegen.

Um Mittag des 29. kochten wir unseren Tee in Bân yü rGensa, den Winterhäusern der Bân yü-Nomaden. Das Re tschü-Tal ist dort viele Kilometer breit und baumlos. Auf weite Strecken liegt der Kalkstein- und Sandsteingrus, der den Grund bildet, blutt und bloß. Nicht weit ab von den wirren Flußschlingen des Re tschü haben sich die Bewohner aus Tannen- und Thujastämmen Schutzhäuser gebaut, in denen sie alljährlich von Mitte November bis Mai hausen. Die Behausungen stehen dicht zusammengedrängt, so daß nur zwei gedeckte Torwege aus ihnen und aus den in der Mitte befindlichen Viehkralen nach außen

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1) Captain Watts-Jones und John Grant Birch reisten im Mai 1900 in 18 Tagen mit gemieteten Yak von Sung pan ting noch Tao tschou mit 25 chinesischen Soldaten und 5 Dienern. Da die Tagebücher dieser Reise bei dem Unglücksfall bzw. der Ermordung der Reisenden verloren gingen (s. Bd. I, S. 89 u. S. 143), so finden wir auch in J. G. Birch, „Travels in North and Central China", London 1902, diese Strecke der Reise mit nur wenigen Linien erwähnt.

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