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0092 Meine Tibetreise : vol.2
Meine Tibetreise : vol.2 / Page 92 (Color Image)

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doi: 10.20676/00000264
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werden. Sechs Tage lang wurde von den zwei Parteien von der Mauer aus hin und her gefeilscht und schließlich die Zahl auf dreihundert herabgehandelt. Herzzerreißende Szenen spielten sich in der Festung ab. Ein edler Wettstreit soll ausgebrochen sein. Alle die dreihundert sollen sich freiwillig gemeldet haben. „Ich habe bei der Rebellion dies und jenes ausgefressen," sagten die einen; „ich bin alt, habe nur wenige Jahre noch zu leben," die anderen; „nimm du oder du meine Frau, adoptiere du mein Kind, ich will mich enthaupten lassen," ein Dritter. Als die dreihundert beieinander waren, machte man zum erstenmal ein verrammeltes Tor auf, räumte den Leichenhaufen, der höher als die eisenbeschlagenen Torflügel aufgehäuft lag, ein wenig beiseite und ließ den Trauerzug hinaus. Die dreihundert fielen in den nächsten Tagen ohne Ausnahme unter den Händen der Henker. Dann kam ein neuer General ins chinesische Lager, der die Strafe noch zu leicht fand. Neue Hekatomben wurden gefordert, neue Hekatomben opferten sich und zogen der Schlachtbank zu').

Jetzt sollten die eingeschlossenen Dunganen ohne Waffen, Mann hinter Mann, die Umwallung von Doba verlassen und nach dem wenige Li entfernten, gegenüber im gleichen Tale hegenden Tsch en hai pu marschieren. Einige zehntausend Mohammedaner machten daraufhin einen verzweifelten Ausfall und entwichen nach Norden in das Bamba-Tal; bedrängt von der chinesischen Armee flohen sie nach Tibet hinauf. Die anderen — darunter mein Han — ließen sich im Gänsemarsche nach Tschen hai pu abführen. Den ganzen Weg entlang standen auf der einen Seite chinesische Infanteristen, Soldaten aus Hu nan und Hu pe, auf der anderen chinesische Bauern der Umgebung. „Das ist der Ma Soundso, der ist ein schlechter Kerl, den kenne ich," brauchte nur irgend ein Bauer zu rufen, und schon wurde der betreffende Mohammedaner von den Soldaten gepackt und auf die Seite geschleppt. „Er hatte nicht mehr nötig, etwas zu essen," meinte trocken mein Han, „ehe er Hunger bekam, war schon sein Kopf weg."

Die sich nicht hatten abführen lassen, flohen sinnlos in die Steppe hinein. In den ersten Tagen wurden sie von hohen Schneemassen, die das Frühjahr gebracht hatte, aufgehalten, und oben am See unausgesetzt von tibetischen Reiterscharen bedrängt, die keinen schonten, der nicht in der Masse mitkam. Nördlich vom Kuku nor ging der Zug nach Westen zu, in der Richtung, wo die „Kerbe", wo Mekka, wo „Lumu gue" 2) liegt, wo ihr Kaiser, der Kalif, wohnt, für den sie doch alle diese Leiden auf sich genommen, dessen Mollah sie gefolgt waren, als sie das Joch des ungläubigen gelben Kaisers abschütteln wollten.

Durch die noch winteröden Weiden der Gan ts`a-Tibeter ging's und schließlich in das Tal des Dulan gol und an den salzigen Serkhe nor. Manchmal hatten Mongolen oder Tibeter Mitleid und nahmen den einen oder anderen Mohammedaner, in dessen Haus sie ehemals als Geschäftsfreunde abgestiegen waren,

bei sich auf. Auf solche Weise retteten sich die Brüder von Han, die ich in Barun besucht hatte.

       
       
       
 
       
       
  1. Rev. Ridley, der die Rebellion in Hsi ning fu mitgemacht hat, erzählt, daß in der Stadt wochenlang tagtäglich unzählbar viele Rebellen geköpft wurden. Von anderen hörte ich die Zahl mit 8000 angegeben. Auf chinesischer und dunganischer Seite zu-

sammen hat die Rebellion weit über 100 000 Menschen, Männer, Frauen und Kinder, das Leben gekostet.

  1. Eigentlich: Rumi guo, das Römerland. Gemeint ist die heutige Türkei mit Stambul, der alten Hauptstadt des oströmischen Reiches.

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