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Meine Tibetreise : vol.2 |
daß die Ehe mit der ersten Frau dadurch aufgehoben wird. In diesen Ausnahme-
fällen sah ich zweimal, daß die zweite Frau eine Schwester der ersten war.
Der Überschuß an unverheirateten Frauen, der überall in Tibet, besonders
aber bei den KCamba besteht, unterstützt natürlich weiter eine leichte Auf-
fassung von Moralbegriffen. Eine tibetische Familie findet sich rasch damit
ab, wenn eine Liebschaft einer Tochter Folgen hat. Kann oder will der junge
Liebhaber die Tochter nicht ehelichen, so muß er ein Rind und ein Schaf be-
zahlen und so lange der Familie unentgeltlich dienen, bis die Tochter wieder
eine volle Arbeitskraft geworden ist. Sie ist auch weit davon entfernt, ihre
Aussichten auf eine gute Partie verscherzt zu haben. Wenn man die weibliche
Zurückhaltung von anderen asiatischen Plätzen gewöhnt ist, staunt man über
den offenen Verkehr der jungen Leute beiderlei Geschlechts. Sie treffen sich
oft und singen und scherzen zusammen. Allzu schlimm aber — wie es sich
manche Europäer dachten — steht es doch auch in Tibet nicht mit der Moral.
Es wird nur wenig schlimmer sein als bei uns in Europa auf dem Lande oder
gar in den großen Städten. Der Tibeter ist im allgemeinen nicht sehr heiß-
blütig. Es ist dies vielleicht eine Folge des Lebens in den großen Höhen, der
Kälte und der mageren Kost. Äußerlich zeigt dies schon die große Anzahl
Männer, die sich in ihren besten Jahren in ein einsames Kloster oder gar in eine
Bergeinsiedelei zurückziehen. Die Klöster aber sind beileibe nicht d i e großen
Lasterhöhlen, als die sie von Leuten geschildert wurden, die oft kaum eine
Stunde lang in einer tibetischen Klostergasse lustwandelten, um darauf ein
ganzes Buch über das betreffende Heiligtum zu schreiben. Bedenkt man, daß
die Klosterbehörden nie einen Knaben, der nicht kräftig gebaut ist, als Novizen
annehmen, daß in größeren Klöstern Hunderte von ausgesucht gesunden
Burschen hausen, so muß man noch staunen über die Zucht und Ordnung.
Der Überschuß an unverheirateten Frauen ist unleugbar vorhanden. Höchst-
wahrscheinlich ist daneben aber die absolute Zahl der Frauen weit geringer
als die der Männer, denn wir zählen zahllose Männerklöster mit Dutzenden,
ja oft Hunderten von männlichen Insassen. Wir finden die Vielmännerehe als
die Norm aller Besitzenden. Die Zahl der unverheirateten Frauen, der ledigen
Tanten, müßte doch danach sehr groß sein. Ich sah aber immer nur wenige
oder gar keine in den Familien, die ich kennen lernte. Auch Frauenklöster sind
recht spärlich vorhanden, so daß nicht eine Nonne auf sechs Mönche kommen
wird. Dabei ist Mädchenmord bei den Tibetern selbst da unbekannt, wo, wie
im Osten, die chinesische Einwanderung besteht; er widerstrebt allzusehr den
buddhistischen Ideen.
In ganz K`am und so auch in Tschendu fand ich es sehr schwierig, meine
hungrige Karawane satt zu bekommen. Die Familien hatten nur ganz wenig
Wildheu gesammelt, das gerade für ihre eigenen Kühe ausreichte. Wo die
K`amba heuen, tun sie es immer erst im Herbst, wenn das Gras reif und gelb
wird. Ich konnte darum in Tschendu nur leeres Gerstenstroh kaufen und auch
dies nur in ungenügender Menge. Als Kraftfutter wurde mir endlich am zweiten
Tage etwas Gerste abgegeben, aber auch nur in kleinen Quantitäten. Der
Scheffel, den die Leutchen zum Abmessen benützten, war so groß wie eine
Teetasse, und die Verkäufer ließen sich nicht bewegen, zu einem größeren Maß
überzugehen. Und wenn man ein Scheffelchen in meinen Sack geschüttet hatte,
streute man wieder ein paar Körner in das Scheffelmaß, um es j a nicht leer in
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