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0152 Meine Tibetreise : vol.2
Meine Tibetreise : vol.2 / Page 152 (Color Image)

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doi: 10.20676/00000264
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ersten Schuß den kleinen Eisblock zu zertrümmern. Die ganze wilde Schar hob den Daumen hoch und schrie und jauchzte: „ Yámo, yamo re! atsatse re!" Der Be hu kam in mein Zelt und überreichte mir einen Schafmagen mit steinhart gefrorener Milch als Inhalt. Und noch einen Monat später wurde ich ob dieses Schusses gelobt. Mittlerweile war er von Mund zu Mund weitererzählt worden; aus den fünfzig Schritt war eine Meile und aus dem Eisstück ein kleiner — Roßapfel geworden.

Noch ein anderes Mal hatte ich auf der Reise mit den Tschendu-Leuten großes Glück im Schießen. Ich hatte dem Be hu versprochen, ihm, wenn er mich gesund nach Lab gomba bringe, ein Gewehr zu schenken. Ich hatte dazu ein altes Henry-Martini-Gewehr bestimmt, das einst in einem englischen Regimente Dienste getan, dann, wie die Stempel weiter zeigten, sich in den Händen des Volunteerkorps in Schanghai befunden hatte. Nachdem die Volunteers moderne Repetiergewehre erhalten hatten, war es ausrangiert worden und schließlich durch Kauf von einem Chinesen in meine Hände übergegangen. Der Tschendu-Be hu kannte den Gewehrtyp bereits ganz genau und sprach sehr verständig über seine Mängel. Deshalb hatte er mich des öfteren gebeten, ihm eine modernere Waffe zu schenken. Es galt darum , den Henry-Martini herauszureißen. Als wir wieder einmal am Waka nebeneinander saßen, wollte er wissen, ob ein Kyang, das in weit über 1/2 km Entfernung graste, von meiner Büchse erreicht würde. Es war dies natürlich eine schwere Aufgabe für die ausgeschossene Schießröhre. Ich hielt auch umsonst eine lange Rede über die Windwirkung auf die Kugel, um mich aus der Klemme zu ziehen. Der Be hu ließ nicht locker. Ich mußte vom Lagerfeuer aus zwischen den grasenden Yak hindurch auf den Kyang anlegen. Wohl um 10 m zielte ich weiter rechts in den Wind und endlich setzte ich meinen Ruf aufs Spiel und drückte los. Ich wagte kaum aufzusehen, rings um mich atemlose Spannung — das Tier aber will sich nicht rühren. Die Sekunde wird mir zur Ewigkeit. Da — das Tier bricht zusammen; es war getroffen. Ich selbst war am meisten erstaunt über den Zufallstreffer. Die Tibeter hielten es für Zauberei. Der Be hu riß mir das Gewehr aus der Hand und hütete es von Stund an wie einen Schatz. Vom Visierstellen freilich hatte er nach wie vor keine Ahnung und ich fand es nicht in meinem Interesse, ihn in die Mysterien unserer europäischen Schießkunst einzuweihen. Wer weiß denn, wie er den nächsten europäischen Reisenden

empfangen wird !

Am 15. Februar lagerten wir in der Sege tschü yung, einem langen Längstal, das sich parallel mit den anderen großen Flußläufen, dem Ma tschü, Tschiang tschü, Tsage tschü und noch weiter südlich dem Dsa tschü und endlich dem De tschü (Dre tschü) durch das Massengebirge der steilen Schieferplatten durchgefressen hat. Ein kleiner Felshügel, von einem Obo gekrönt, erhob sich neben unserem Lagerplatz. Es heißt das Sege nara nadi obo, das ganz besonders „yibtr" (rdyibtsen = verehrungswürdig) ist. Die Felsen, die etwas auffallend groteske Formen zeigen, sind von langen Wollschnüren bedeckt und an zahllosen Stangen, an riesenhaften Holzpfeilen und -lanzen flatterten mehr oder minder verblaßte Gebetwimpel. Durch unseren Besuch wurde die Zahl der Wimpel wiederum um einige frische, bunte, farbenfreudige vermehrt. Wir stießen hier seit acht Tagen zum ersten Male auf eine offene Quelle. Alle Tiere stürzten sich gierig auf den Sprudel, der in der Mitte eines Eiskegels wie aus

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