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0165 Meine Tibetreise : vol.2
Meine Tibetreise : vol.2 / Page 165 (Color Image)

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doi: 10.20676/00000264
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den Sack zurückgehen zu lassen. Als der Sack des'Verkäuf ers endlich geleert war, mußte wieder ein Scheffelmaß in ihn zurück. Nichts darf je leer zurück-

gehen und leer sein ; alle Krüge, Kannen und Säcke müssen stets etwas

enthalten : aus abergläubischer Furcht, daß ein einmal leeres Gefäß nur ausnahmsweise noch einmal voll zu bekommen sei. Zum Schluß aber bekommt

der Käufer vom Verkäufer noch einen Segen mit auf den Weg, dessen kurzer Sinn etwa lautet: Möge dir, was du von mir gekauft hast, zum Segen ausschlagen !

Der Be hu fütterte seinen Marstall mit Tschürra und ganz wenig Man tsinRüben und gab Fleischbrühe mit etwas Tsamba zum Saufen. Die Abfälle, die in anderen Gegenden den Schweinen vorgeworfen werden, mußten die hungrigen Einhufer in den Winterquartieren fressen.

Trotz der gemeinsamen Reise mit dem Be hu benahmen sich die TschenduLeute ungemein zurückhaltend. Die Lama ließen mich in keinen ihrer Tempel hinein und der Bruder des Be hu, der als Inkarnation eines nahen Klosters

lebte, kam mit großem Pomp und vielen roten Lamareitern mit goldstrotzenden Hüten, um dem Bruder sein Mißfallen auszudrücken, daß er einen Fremden

in das Land gelassen habe. „Was will der ,Olos` (der Russe) hier?" Er unter-

schied nur zwischen Russen im Norden und Engländern im Süden. „Er wird nur Gold und Silber suchen, Seuchen verursachen und unseren Frieden stören

wollen. Wir brauchen die Fremden nicht und kein Fremder hat das Recht,

den Boden von Bod yül (Tibet) zu betreten." Sie drohten dem Be hu mit der Strafe des Königs Nan tsien, seines Oberherrn, an den sie bereits auf die erste

Kunde von meinem Erscheinen Boten gesandt hatten. Da ich als einziger

Europäer und nur mit wenigen Chinesen kam, so konnte ich freilich auch nicht allzu viel Respekt einflößen. Niemand scheute sich, mir unzweideutig zu ver-

stehen zu geben, daß ich ein höchst ungebetener Eindringling sei. Die wenigsten ließen mich in den Raum treten, wo das Herdfeuer sich befand. Selbst der Be hu war sichtlich bemüht, mich so wenig wie möglich in das Innere seines Heims blicken zu lassen, als fürchtete er sich plötzlich vor mir.

Das ganze Haus des Be hu hinterließ bei mir einen kriegerischen Eindruck. Die Fenster waren wie Schießscharten so klein, die Wände hingen voll von

Gewehren, Beutel mit Kalisalz pendelten von der Decke, ein großer Haufen

Schwerter und Bleikugeln lag in einer Ecke. Einige Ledersäcke, mit Rupien gefüllt, nahmen sich wie ein Kriegsschatz aus. Die Stiege vorn vom Erdgeschoß

herauf, in dem nur finstere, kotige Ställe lagen, konnte, wie bei meinen Wirtsleuten, für den Fall eines Angriffs hinaufgezogen werden. Das ebene Dach, um das eine Brüstung von beinahe Schulterhöhe lief, gab vollends dem ganzen Gebäude das Aussehen eines Bergfrieds. Auf diesem Dache lagen neben Haufen von Steinen drei eiserne Jingals.

Als ich das Haus zum ersten Male betrat, hörte ich eine helle Knabenstimme das tibetische Alphabet hersagen. Es war der dritte Sohn, ein Junge von noch

nicht ganz zehn Jahren, der unter der Aufsicht eines alten Priesters sein ka,

lea, ga, nga, norro ko, k` o, go, ngo ... brüllte und in die Mysterien der tibetischen Orthographie einzudringen suchte. Für die Knaben sind die tibetischen

Schriftzeichen, die bekanntlich aus den indischen Landscha-Zeichen ums Jahr 632 gebildet wurden, kaum weniger schwer als die chinesische Schrift, denn so viele Worte werden heute ganz anders ausgesprochen als geschrieben, daß

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