National Institute of Informatics - Digital Silk Road Project
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Meine Tibetreise : vol.2 |
auf ein „gai", ein Ghetto oder eine „Konzession", ein ziemliches Stück abseits
vom Klosterfrieden beschränkt. Die engen Karawansereien sind durch feste
Tore nachts verschlossen und werden von Mönchssoldaten gehütet. Der Laien-
platz, den allein ich am ersten Tage zu Gesicht bekam, ist ein abstoßender, ekel-
hafter Fleck Erde, aber als Fremder konnte ich nirgendwo anders ein Unter-
kommen finden und mußte nach langem Suchen sogar recht froh sein, ein freies
Plätzchen auf einem kleinen, schmierigen Kang in einer der muffigen Maultier-
kneipen zu finden. Unzählige wilde, dreckige Köter liegen und schleichen an
und in den Häusern herum, streiten sich, beißen sich und vollführen einen
Höllenlärm. Auf allen Gassen wird geschächtet und geschlachtet. Überall
riecht es nach frischem Blut, fließt Blut, aus dem übelriechenden Straßenkot
wird es von vollgefressenen Hunden aufgeleckt, denen die mohammedanischen
Metzger Haufen von Lungen und Lebern zuwerfen ; am Straßenrand stehen
Mauern aus Rinder- und Hammelschädeln. Neben den Chinesenhäusern sind
auch die Lagerplätze der Pilger, doch standen dort zurzeit nur zerfetzte Bettler-
zelte und ganz wenige kleine Mongolen- und Burjätenyurten.
Ich wurde spät am Abend mit dem sogenannten Ma lao ye, dem Vertreter
der Mohammedanergemeinde, und mit chinesischen Vertretern der Yang hang,
den Tientsin-er Agenten von fünf europäischen Exportfirmen, bekannt ; letztere
waren zum Einkauf von Wolle, von Häuten und Rauchwaren seit einigen Wochen
aus Lan tschou heraufgekommen und hatten alle besseren Räume mit Beschlag
belegt. Erst mit ihrer Hilfe bekam ich ein einigermaßen menschenwürdiges
Plätzchen.
Zwischen dem Karawansereidorf und dem Kloster liegt ein kleiner chinesischer
Ya men (tib.: rDya bon kar), in dem ein Offizier, eine Art Konsul der chinesi-
schen Regierung, als Vertreter des Hsün hoa ting seine Wohnung hat. Derselbe
spielte aber nur eine geduldete Rolle. Das rührige Leben und Treiben im
Dorfe Labrang, die Krämer, die Metzger, die Geiger, die Bettler, die Weiber,
der ganze beispiellose Dreck ließen mich schon am Abend hohe Erwartungen
an das Kloster stellen, von dem man vorher kaum den Namen in europäischen
Büchern hat nennen hören. Zu einem solchen Markt gehört auch ein großer
Verbraucher. Früh am anderen Morgen machte ich mich auf, um das Heiligtum
zu besichtigen. Ma lao ye hatte mir den wohlmeinenden Rat gegeben, mich nur
in Begleitung eines Geslong in seine Nähe zu wagen und hatte mir auch einen
solchen verschafft. Doch selbst in guter Begleitung, meinte er, sei es für mich
ein großes Wagnis; er wollte mich immer wieder davon abbringen. Obwohl
er genau wußte, daß ich Europäer und Deutscher sei, gab er mich zur Vorsicht
immer als „Katschi" aus. Mein alter grauköpfiger Geslong wagte auch gar
nicht, mich ins Klosterinnere zu führen ; er brachte mich bald hinter dem
Dorf auf einer Brücke über den Fluß und in den Wald im Südosten von
Labrang gomba. Am steilen Hang stiegen wir etwas empor und mit einem
Male hatte sich eine große Stadt vor mir ausgebreitet (Tafel LXVI).
Hunderte von weißleuchtenden Mönchszellen drängten sich unter mir zu-
sammen; aus ihnen schauten hohe, bunt bemalte Bauten wie altassyrische
Paläste herauf, und zahllose goldene Spitzen und Embleme glitzerten im Sonnen-
r.
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besonders angefertigter Wetterlagekarten — wie sie für mich von Dr. Joester und Dr. Wussow vom Kgl. meteorologischen Institut Berlin entworfen wurden — berechnet
worden sind.
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