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0442 Aus Siberien : vol.1
Aus Siberien : vol.1 / Page 442 (Color Image)

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doi: 10.20676/00000224
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408 —

herrschaft hat, und in ähnlicher Weise verfährt er den übrigen Reichen gegenüber, die die Kirgisen für ihre Unterhanen halten.'

„Dieselben Begriffe hat der Kirgise von den eigenen Befehlshabern, indem er sich ihnen den Verhältnissen gemäss unterwirft. Verfolgt ein kirgisischer Häuptling einen Kirgisen wegen eines Vergehens, so verlässt dieser ihn und geht zu einem anderen über; willigt der letztere nicht ein, ihn zu verbergen, so begiebt er sich zu einem dritten. Dank der Roheit, Ungebildetheit und Gier der Kirgisen, finden sich viele Beschützer der Verbrecher in der weiten Steppe, die Zahl derselben nimmt sogar, bei der Schwäche der Stammführer, immer mehr zu. Was für Ordnung kann auch der ehrlichste Anführer schaffen, wenn seine Unterthanen sich ihm nur durch die Verhältnisse gezwungen unterwerfen, und sich zu keinem Opfer für die Allgemeinheit verstehen, wenn sie nur darauf sinnen, ihre Raublust zu befriedigen und Jeder darauf bedacht ist, selbst zu befehlen , wenn sich nur die geringste Möglichkeit dazu bietet?"

Wenn man solche Tiraden liest, möchte man leicht auf den Gedanken kommen, die Kirgisen seien der Auswurf der türkischen Bevölkerung Westasiens, Diebs- und Räubergesindel, das sich in die weite Steppe geflüchtet hat, weil es sich nicht an das geordnete Leben angesiedelter Völker gewöhnen kann, mit einem Worte eine Race, die vertilgt zu werden verdient. Und doch liegen die Verhältnisse ganz anders. Werden nicht auch die Beduinen seit Urzeiten als Räuber und Diebesvolk, das in vollkommener Anarchie lebt, geschildert? und doch sind die Beduinen anderen Stammes und haben nur das mit den türkischen Nomaden gemeinsam, dass sie Steppennomaden sind, gerade wie diese. Wir haben es also hier nur mit einer Civilisationsstufe zu thun, die einen Gegensatz zu der Cultûrepoche angesiedelter Völker bildet, und daher ihr Thun und Treiben von einem anderen Gesichtspunkte angesehen wissen will. Dass diese meine Annahme richtig ist, beweist uns schon der Umstand aufs Deutlichste, dass die Kirgisen trotz aller getadelten Anarchie im Wohlstande leben und einen ganz bedeutenden Bevölkerungszuwachs zu verzeichnen haben. Ich selbst habe lange unter Kirgisen gelebt und mich zu überzeugen Gelegenheit gehabt, dass bei ihnen durchaus nicht Anarchie herrscht, sondern nur eigenthümliche , von den unsrigen abweichende, aber in ihrer Art vollkommen geregelte Culturverhältnisse.